„Was man im Kleinen erfährt, ist nichts anderes als das, was die Welt im Großen ausmacht.“
In ihrer Ausstellung Double Bind präsentiert die Kunsthalle Gießen noch bis Anfang Oktober 2021 den neuesten Werkzyklus der Künstlerin Louisa Clement. In Zusammenarbeit mit der Kölner Gestalterin Lena Mozer entstand bei Audio Logo ein Soundbook, das die Ausstellung als sprechendes Werkbuch begleitet.
Die 1987 in Bonn geborene Künstlerin Clement hat an der Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe und der Kunstakademie Düsseldorf studiert, dort zuletzt als Meisterschülerin von Andreas Gursky, einem der weltweit erfolgreichsten zeitgenössischen Fotografen, und wurde bereits vielfach für ihre Arbeiten ausgezeichnet. Ihre Werke sind in internationalen Museen und Ausstellungen zu sehen. Mit Double Bind erweckt sie Klone ihrer selbst, in Form von sprechenden Menschenpuppen nach ihrem Abbild, zum Leben. Ein KI-Algorithmus, den Clement aufwändig mit persönlichen, teils sehr intimen Daten und ihrer Stimme „gefüttert“ hat, lässt die Klone einen eigenständigen Dialog führen. Die Grenzen zwischen Person und Puppe, zwischen echter und imitierter Realität verschwimmen. „Ich beleuchte mit den Puppen die kritische Seite des Online-Lebens. Was macht das Leben im und mit dem Netz mit uns als Menschen? Wie stelle ich mich in den Sozialen Medien dar, welches Bild, das die anderen liken sollen, das aber nichts meiner Person zu tun hat, erschaffe ich dort von mir?“ erläutert Clement die Grundidee zu ihrem Werk. „In den Sozialen Medien gibt man so viele persönliche Informationen von sich preis, man schafft ein Abbild von sich in Datenform. Daraus wollte ich ein Projekt entwickeln. Die Puppen besitzen meine persönlichen Daten, imitieren meine Stimme und Mimik, sie sind mein Abbild und zugleich die Verkörperung von dem, was das Internet ist. Denn was man im Kleinen erfährt, ist nichts anderes als das, was die Welt im Großen ausmacht.“ In den Puppen, die in China gefertigt wurden, steckt eine Künstliche Intelligenz, die auf das Datenrepertoire von Clement und Google zurückgreift, um selbstständig sprachlich zu interagieren. Entwickelt hat den intelligenten Algorithmus ein Forschungsprojekt am Lehrstuhl für Computerlinguistik von Prof. Vera Demberg an der Universität Saarbrücken. Die Kunsthalle Gießen beschreibt die interaktive Komponente der Ausstellung: „Gespeist mit künstlicher Intelligenz entsteht ein auf Algorithmen basierenden Charakter, der durch Gespräche mit Ausstellungsbesucher*innen auch die soziale Komponente stärkt. Je intensiver die Repräsentantin durch ein Gegenüber inhaltlich und sprachlich gefordert ist, desto stärker vermischt sich das ursprünglich eingepflanzte Gedankengut mit den Impulsen von außen.“
Die Ausstellung begleitet ein außergewöhnliches Soundbook mit dem Titel „Louisa“, das Audio Logo in einer Auflage von 800 Stück produziert hat. Beim Aufblättern ist eine aufgezeichnete Dialogsequenz aus dem Gespräch mit einer der Puppen zu hören. Clement erläutert, warum ihre Entscheidung zunächst für die elektronische Veredelung mit Sound gefallen ist: „Das ist eine wahnsinnig persönliche Arbeit, in der so viele private Informationen von mir stecken. Das Miteinander-Sprechen und Zuhören werden durch das Medium Ton auf eine genauso persönliche Ebene heruntergebrochen. Ich blättere das Buch auf und es spricht mit mir! Man ist sofort im Kontext der Interaktion. Deshalb setzt Sound einen so großen Verweis auf meine Arbeit.“ Beim Sound alleine wird es jedoch nicht bleiben. Aktuell in Planung ist die Auflage eines Hardcover-Videobooks als Limited Edition im Schuber mit Signatur der Künstlerin. Darin wird unter anderem eine neu entstandene Videoarbeit von Clement zu sehen sein, die als Reflektion über das Projekt Double Bind entstanden ist. Nach dem Ausstellungsende in Gießen reisen die Puppen weiter, unter anderem nach Los Angeles, wo sie im Rahmen des 25-jährigen Stipendienjubiläums der deutschen Künstlerresidenz „Villa Aurora“ als eine der ausgewählten Arbeiten bisheriger Stipendiaten zu sehen sein werden. Louisa Clement sinnt derweil über ihr nächstes Projekt nach: „Double Bind hat mich unzählige Projekterfahrungen sammeln lassen, insbesondere in der Zusammenarbeit mit China während der Pandemie. In meiner nächsten Arbeit möchte ich daher der Frage nachgehen, was es heißt, in unserer heutigen Wirtschaftswelt als Humanist und Europäer zu leben.“